Die “Ökogas-Lüge”? – ASEW rät zu mehr Differenzierung
Das Recherche-Netzwerk Correctiv hat sich mit der Kompensation von CO2-Emissionen am freiwilligen CO2-Markt (VER) beschäftigt
Das Recherche-Netzwerk Correctiv hat sich näher mit der Kompensation von CO2-Emissionen am freiwilligen CO2-Markt (VER) beschäftigt. Demnach sparten zahlreiche Kompensationsprojekte kein oder deutlich weniger CO2 ein als angegeben, EVU täuschten mit ihren Werbeversprechen die Kunden. Die Arbeitsgemeinschaft für sparsame Energie- und Wasserverwendung (ASEW) rät zu einer differenzierteren Betrachtung des Themas. Die dargestellten Ergebnisse sind bedauerlich. Sie bergen aber nun nach Ansicht der ASEW das Potenzial, dass sich der freiwillige CO2-Markt weiterentwickeln kann und sollte.
„Wir beobachten die Entwicklungen des Marktes seit der Aufnahme unserer entsprechenden Angebote und Dienstleistungen für Stadtwerke aufmerksam“, so Kara Hoffmann, Gruppenleiterin Ökoenergie-Produkte bei der ASEW. „Aus den gesammelten Erfahrungen und Beobachtungen leiteten und leiten wir stetig Maßnahmen ab, um unsere Leistungen veränderten Bedingungen, aber auch neuen Erkenntnissen anzupassen. Inwieweit künftig sichergestellt werden kann, in Projekte mit hohen Klimaschutzwirkungen zu investieren, hängt letztendlich davon ab, wie sich der freiwillige Markt weiterentwickelt. Zur Sicherstellung eines Mindestmaßes an Qualität der Zertifikate existieren die Standardgeber wie Verra oder Gold Standard sowie die unabhängigen Prüfstellen. Damit der freiwillige Markt funktionieren kann, müssen sich Händler und Käufer der Klimaschutzzertifikate auf ein solches System verlassen können. Eine zusätzliche Überprüfung der Projekte, die bereits von einer unabhängigen Prüfstelle überprüft wurden, erscheint wenig zielführend.“
Erdgaslieferanten als Schuldige vorzuführen, greift zu kurz und ist dem Thema kaum angemessen. Denn auch wenn am freiwilligen CO2-Markt kompensierte Gas-Produkte nicht das Nonplusultra für den Klimaschutz sind, leisten sie dennoch einen Beitrag. „So lange Kundinnen und Kunden bereit sind, für die Kompensation einen gewissen Aufpreis zu zahlen, spricht erst einmal nichts dagegen, diese Summen gebündelt in Projekte zu investieren, die das heimisch bei der Erdgasnutzung anfallende CO2 andernorts kompensieren“, gibt Torsten Brose, Abteilungsleiter Vertriebslösungen der ASEW, zu bedenken. „Direkte Alternativen, sprich reine Biomethanprodukte oder solche mit hohem Biomethan-Beimischanteil sind für den Großteil der Kundschaft zu teuer. CO2-kompensierte Gasprodukte erlauben auch der preisbewussteren Kundschaft einen zumindest kleinen Klimaschutz-Beitrag. Gründlich ausgewählte Projekte, in die die Kompensationsmittel fließen, generiert zudem nicht nur einen CO2-Einspareffekt, dessen Wirksamkeit für die gleiche Summe im heimischen Markt deutlich geringer ausfallen würde, sondern auch das Potenzial, vor Ort im globalen Süden nachhaltige gesellschaftliche oder soziale Effekte zu erzielen.
Unabhängig von der Correctiv-Recherche wird künftig die richtige Kommunikation von Kompensationsprojekten immer wichtiger. Das betrifft übrigens nicht nur die Energiewelt, sondern auch Reiseanbieter, Hersteller von Printprodukten, Lebensmittelmärkte und viele andere Bereiche, die Teile ihrer Produktion oder Lieferketten nachträglich durch VER-Projekte freiwillig kompensiert haben. „Für Stadtwerke und auch uns als Stadtwerke-Netzwerk ist es über die Jahre ein Lernprozess, wie man mit Etiketten wie ‚CO2-neutral‘ oder ‚Klimaneutralität‘ umgehen soll“, gibt Torsten Brose zu bedenken. „Bei vielen Stadtwerken aus dem Netzwerk ist die Kommunikation aktuell in Anpassung oder wurde in den letzten Jahren bereits angepasst. Das wird vom Gesetzgeber durchaus vorangetrieben. Neben einem ausstehenden Urteil des Bundesgerichtshofs zur Verwendung des Begriffs ‚klimaneutral‘ ist vor allem die aktuell in Abstimmung befindliche Green Claims Directive zu nennen. Sobald hier rechtliche wie juristische Klarheit herrscht und ein fester Rahmen für die Verwendung der entsprechenden Attribute in der Werbung besteht, wird sich die gesamte Wirtschaft diesbezüglich anpassen müssen.“
Die Correctiv-Recherche stellt zudem zumindest implizit auch die Frage nach möglichen Alternativen zum VER-Kompensationsmodell. Eine sehr vielversprechende ist aus Sicht der ASEW das Contribution-Claim-Modell. „Bei diesem, federführend von der Stiftung Allianz für Entwicklung und Klima und vom Wuppertal Institut vorangetriebenen, Ansatz verzichtet man auf Aussagen zur CO2-Kompensation bzw. -Neutralität von Produkten“, erklärt Patrick Niehaves, Projektmanager Ökoenergie-Produkte & Klimaschutz bei der ASEW. „Stattdessen legt man hier die finanzielle Investitionssumme in Klimaschutzprojekte offen. Nicht zu vermeidende CO2-Emissionen (Restemissionen) können dazu mit einem Preis (z. B. in Anlehnung an den CO2-Preis des verpflichtenden EU-Emissionshandelssystems EU-ETS) beziffert werden, der dann in (regionale) Klimaschutzprojekte investiert wird. Hierbei zentral ist, dass man nicht den Anspruch erhebt, genau beziffern zu können, wie hoch die Klimaschutzleistung in Tonnen CO2 ist. Die Projekte, die beim Contribution-Claim-Modell genutzt werden, können, müssen aber nicht zwangsläufig, VER-Projekte sein. Auch eigene Projekte sind denkbar.“
Ein weiterer Vorteil dieses Ansatzes: Er stärkt regionale und lokale Projekte – gerade für Stadtwerke eine nicht zu unterschätzende Eigenschaft. Aufgrund der Systematik des freiwilligen CO2-Marktes zur Vermeidung von Doppelzählungen gibt es aktuell kaum deutsche VER-Projekte. Trotz dieser Einschränkung investieren Stadtwerke bereits oftmals in lokale Projekte, deren Wirkung in Form von CO2-Einsparung bzw. -bindung jedoch nicht zur Kompensation erfasst und kommuniziert wird. Im Jahr 25 der Energiewende größeres Kompensationspotenzial im Nahbereich zu finden, ist nicht immer einfach. Meist ist die Wirkung pro Euro von Investitionen in Schwellen- und Entwicklungsländern nach wie vor deutlich höher als von solchen in der eigenen Region. Doch der Fokus könnte sich hier umkehren, denn auch im energiewendemäßig schon recht gut erschlossenen Deutschland gibt es noch viele Ansätze für CO2-einsparende Projekte.
Und zu guter Letzt: Stadtwerke setzen eine Vielzahl an Maßnahmen im Bereich der Wärmewende um. Insbesondere wird aktuell der Ausbau der Nah- und Fernwärme auf Basis der kommunalen Wärmeplanung vorangetrieben und der Anteil an Erneuerbaren Energien in der Wärmeversorgung erhöht. Auch bieten sie ihrer Kundschaft beispielsweise Wärmepumpen als dezentrale Lösung an. Auch Biogasprodukte haben viele Stadtwerke im Angebot. CO2-kompensiertes Erdgas ist daher nur ein Baustein von vielen Maßnahmen, um den Klimaschutz zu fördern.
Datum: 30. April 2024
Autor: ASEW; Foto: Biogasanlage Burgrieden, Archiv: SWB